Scheibenbeil, Zülowniederung bei Groß Machnow

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Scheibenbeil des jüngeren Mesolithikums, Groß Machnow, Weinberg, Kreis Teltow-Fläming, ca. 4000-6000 v. Chr.
( Eine Zeittafel dazu gibt es hier )

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Das Objekt ist das bislang älteste dieser Sammlung. Es wurde höchstwahrscheinlich vor sechs bis achttausend Jahren, d.h. in der jüngeren Mittelsteinzeit hergestellt; Fundstellen aus dieser Zeit sind in Brandenburg recht selten und werden kaum im Rahmen einer archäologischen Baubegleitung untersucht. Die Chance auf ähnlich alte oder noch ältere Funde ist also eher gering.

Gefunden wurde das Objekt bei einer Geländebegehung in der Zülowniederung, einer durch kleinere Urstromtäler erodierte Grundmoränenlandschaft in der Nähe von Berlin, die von etlichen Fließen, Gräben und Flüsschen durchschnitten wird und sich südlich an die Hochfläche des Teltow anschließt. In der Niederung liegen markante Erhöhungen, wie der Telzer Berg oder der Groß Machnower Weinberg; daneben finden sich ausgedehnte Dünenbereiche, die in der sumpfig feuchten Niederung ausreichende Siedlungsmöglichkeiten boten. Da hier bereits mehrfach mesolithische und sogar spätpaläolithische Steinartefakte gefunden worden waren, wird auch für forstwirtschaftliche Bodenarbeiten wie das Pflügen mit dem Forstpflug oder das Bohren der Pfostenlöcher für die Zäune eine archäologische Begleitung angeordnet. Beim Zaunbau um eine Neuanpflanzung wurde das Artefakt durch den Erdbohrer nach oben geholt und lag gut sichtbar auf dem kleinen Abraumkegel um das Pfostenloch.

Bei unserem Objekt handelt es sich um ein kleines Beil. Wenn wir es ein bisschen drehen, sehen wir an einem Ende eine breite Schneide, das andere Ende ist etwas abgerundet. Das Gerät ist aus Feuerstein oder Silex gemacht; es ist ein Beil und keine Axt, weil es kein Schaftloch besitzt.
Beile und Äxte treten erstmals im Mesolithikum (bzw. der Mittelsteinzeit) in Nord- und Mitteleuropa auf. Es gibt einige frühere Ausnahmen, aber erst im Mesolithikum sind sie regelmäßiger und integraler Bestandteil der Sachkultur. Wir kennen sog. Rosen- und T-Äxte sowie Lyngbybeile aus Geweih; aus Stein wurden Walzen-, Kern- und Scheibenbeile hergestellt.

Kern- und Scheibenbeile bestehen aus Feuerstein (Flint, Silex), Walzenbeile aus Felsgestein. Die Form entsteht beim Walzenbeil durch flächiges Picken, bei den Silexbeilen durch gezieltes Abschlagen von Material. Erste Kern- und Walzenbeile treten ab ca. 9000 v.Chr. auf. Beim Kernbeil wird ein geeigneter Feuerstein von allen Seiten so zugeschlagen, dass ein länglicher Körper entsteht, der an einem Ende mit einer Schneide versehen wird. Auf Youtube zeigt Marquardt Lund einen solchen Herstellungsprozess für ein jungsteinzeitliches Flintbeil der Trichterbecherkultur.
Um ein Scheibenbeil herzustellen, wird von einem geeigneten Feuerstein ein größerer Abschlag abgetrennt, der im Idealfall länglich scheibenförmig ist. Dann werden die Ränder so zugeschlagen, dass ein länglich schmales, oft auch trapezförmiges Objekt entsteht. Wenn wir unser Beil, es ist ein Scheibenbeil, entsprechend drehen, kann der Entstehungsprozess mit etwas Fantasie nachvollzogen werden. Die Länge von der Schneide bis zum Nacken liegt bei 6,6cm, die Höhe bei 2,3cm. Gut zu sehen ist, dass die 3,4cm breite Schneide auf Höhe der Unterseite liegt; beim Kernbeil liegt die Schneide dagegen meist mittig am Ende des Objektes. Natürlich sind viele Stücke nicht so eindeutig bearbeitet, dass sie allen von der Archäologie festgelegten Kriterien entsprechen; den Mesolithikern ging es wohl überwiegend um Funktionalität und nicht um Ästhetik.
Mit nur 50 Gramm Gewicht ist unser Beil sehr leicht und nicht mit einer heutigen Metallaxt vergleichbar. Das für eine sinnvolle Handhabung und einen effizienten Impuls nötige Gewicht kommt aus dem knieförmigen Stiel, in dem diese Beile geschäftet waren. Genaue Untersuchungen von Abnutzungsspuren an den Schneiden etlicher Scheibenbeile zeigen, dass eine Schäftung als Querhaue üblich war; dabei steht die Klinge quer zum Stiel. Wie die vollständigen Geräte ausgesehen haben, zeigt der Experimentalarchäologe Harm Paulsen anhand seiner jungsteinzeitlichen (geschliffenen) Beilklingen.
Scheibenbeile werden von den Fachleuten in zwei Typen eingeteilt, die nach den Fundplätzen Oldesloe und Ellerbeck benannt sind. Der Unterschied liegt in der Schlagrichtung beim Zuarbeiten der Seiten. Bei unserem Beil sind die Schlagflächen durch die bogenförmigen Wellenlinien gut zu sehen, die beim Auftreffen des Schlagwerkzeugs entstehen - etwa vergleichbar mit den Wellen bei einem Steinwurf in eine Wasserfläche. Alle Seitenflächen wurden von der Unterseite, der Scheibenfläche aus geschlagen und damit ist es ein Beil vom Typ Oldesloe.

Das Mesolithikum steht zwischen dem ausklingenden Paläolithikum (Altsteinzeit) mit seinen eiszeitlichen Jägerkulturen und dem Neolithikum (Jungsteinzeit) mit sesshaften Bauernkulturen. Es beginnt etwa 9600 v.Chr., zu diesem Zeitpunkt setzt eine Klimaphase namens Präboreal ein, in dem sich eine langsame Erwärmung endgültig durchsetzt und die Tundren oder Kältesteppen von ersten lichten Kiefern- und Birkenwäldern überdeckt werden. Im anschließenden Boreal steigt die Temperatur bei weiterhin trockenem Klima an. Erst im Atlantikum wird es zunehmend feuchter und es entsteht unser heutiges Landschaftbild aus Kiefern- und Eichenmischwäldern. Das optimale Klima führt ab 5500 v.Chr. zur Ansiedlung der ersten Bauern in unserem Raum.
Die sich stetig ausbreitende Vegetation führte zu gravierenden Veränderungen der Tierwelt. Rentiere brauchen die offenen Tundren und folgten dem zurückweichenden Eis; mit ihnen verschwand die Lebensweise der Rentierjäger. Die Artenvielfalt in Flora und Fauna wuchs und damit auch die Nahrungsvielfalt; neue terrestrische, aquatische und maritime Nahrungsquellen wurden erschlossen. Es entstanden regelmäßig genutzte, temporäre Lagerplätze und eine neue Steingeräteindustrie. Archäologisch fassbare Kulturen, nach wichtigen Fundorten benannt, bildeten sich; in Süddeutschland das Beuronien als älteste mesolithische Kultur, im Norden die Maglemose-, die Kongemose- und die Ertebölle-Ellerbeck-Kultur. Letztere ist ausgesprochen küstengebunden und durch die großen Muschelschalenhaufen charakterisiert; für unseren Raum in Brandenburg wird von einem binnenländischen Mesolithikum gesprochen.
Das flächendeckende Wachstum von Wäldern und die vermutete Entwicklung stabilerer, wenn auch noch temporärer, Holzbauten forcierte vermutlich die Entwicklung von Werkzeugen zur besseren Holzbearbeitung. Das Lyngby-Beil, ein endpaläolithischer Beiltyp aus einer Rengeweih-Stange gilt als technologischer Vorläufer der Steinbeile. Aber auch Steinbeile tauchen sporadisch schon vormesolithisch auf, etwa Scheibenbeilklingen im afrikanischen Mittel- und dem europäischen Jungpaläolithikum.
Obwohl die Archäologie davon ausgeht, dass es stabilere Wohnbauten gegeben hat, sind diese kaum greifbar. In den Publikationen zu mesolithischen Fundplätzen sind selten Haus- oder Hüttenbefunde abgebildet, stattdessen wird oftmals lediglich die Mengenverteilung der ausgesiebten Silexartefakte beschrieben, die als unterschiedliche Aktivitätszonen interpretiert werden. Mesolithische Wohnplätze werden oft aufgrund solcher Daten definiert. Sonderfälle und archäologische Highlights sind Fundstellen im Feuchtmilieu, in dem nicht nur Steinartefakte, sondern auch bearbeitete Knochen, Holzgegenstände sowie botanische und zoologische Makroreste erhalten sind; Friesack im Havelland ist ein derartiger Glücksfall.

Ebenso wenig wie zu den Siedlungen wissen wir über die Bestattungssitten. Vor ca. 100 Jahren wurden die beiden "Schädelnester" in der Großen Ofnet-Höhle entdeckt, mittlerweile kennen wir etliche mesolithische Bestattungen. Häufig wurden die Toten aufrecht in die Grabgrube gesetzt, oft das Grab mit mineralischen Farbstoffen rot gefärbt. Ein eindrucksvolles Begräbnis dieser Art wurde auf der Insel Téviec ausgegraben und ist im Museum von Toulouse ausgestellt. Im brandenburgischen Groß Fredenwalde wird derzeit ein Begräbnisplatz untersucht, der offensichtlich eine über tausendjährige Tradition hat. Die Reste von 9 Personen (5 Kinder, 4 Erwachsene) wurden gefunden, die komplett oder als Teilbestattung, liegend oder aufrecht stehend begraben wurden. Genaue C-14-Datierungen geben ein Zeitfenster von 6400 bis 4900 v.Chr. an; es gibt gute Gründe, von weiteren, noch unentdeckten Gräbern auszugehen.

Das Ende der mesolithischen Wildbeuterökonomie und der Übergang zur sesshaften Bauernkultur ist ebenfalls noch weitgehend unverstanden und daher im Focus intensiver interdisziplinärer Forschung. Mittlerweile wissen wir, dass die ersten Neolithiker in Süd- und Mitteldeutschland Migranten aus Südosteuropa waren, in ihrer Genetik unterscheiden sie sich klar von den lokalen Mesolithikern. Sogar die domestizierten Rinder dieser Bauern wurden importiert. Bildete sich mit der Linienbandkeramik im Süden ab 5500 v.Chr. recht schnell eine flächendeckende bäuerliche Besiedlung, die allerdings an ertragreiche Lößböden gekoppelt war, dünnt diese Wirtschaftweise nach Norden hin stark aus; lediglich im Havelland und der Uckermark gibt es einige wenige bandkeramische Siedlungsplätze. Erst ab ca. 4200 v.Chr. setzt hier und in Nordeuropa flächendeckend das Neolithikum in Form der Trichterbecherkultur ein, die nicht durch Migration sondern durch eine übernahme der bäuerlichen Lebensweise durch die Mesolithiker entstand. Verbesserte Analysemethoden, z.B. der stabilen Isotopen, der DNA der Knochen und genauere C-14-Datierungen geben uns immer tiefere Einblicke in die Lebens- und Ernährungsweise bis hin zu Aussagen zur Abstammung und zum Wohnort während der Kindheit. Derartige Untersuchungen am Fundmaterial der Blätterhöhle bei Hagen zeigen ein zweitausendjähriges Nebeneinander von Wildbeutergruppen und Bauern (Orschiedt et al., 2014, Orschiedt et al., 2016). Der übergang verlief wohl nicht so zwangsläufig, wie die frühere archäologische Forschung dies propagierte - und sicherlich auch nicht aus den bislang angeführten Gründen. Denn mitterweile wissen wir, dass die Aufgabe der Wildbeuter-ökonomie kaum Vorteile brachte.


LITERATUR und QUELLEN

o Breest, Klaus, 1997, Studien zur Mittleren Steinzeit in der Elbe-Jeetzel-Niederung (Landkreis Lüchow-Dannenberg), Beiträge zur Steinzeit in Niedersachsen
o Gramsch, Bernhard, 1973, Das Mesolithikum im Flachland zwischen Elbe und Oder, Veröffentlichungen des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam 7
o Jungklaus, Bettina et. al.,2016, Deutschlands ältestes Gräberfeld, AiD5/2016: 8-13
o Orschiedt, Jörg et al., 2017, Blätterhöhle - Bilanz von zehn Jahren Ausgrabung, AiD2/2017: 60-63
o Schuldt, Ewald, 1961, Der mittelsteinzeitliche Wohnplatz Hohen Viecheln, Deutsche Akadmie der Wissenschaften zu Berlin, Schriften der Sektion für Vor- und Frühgeschichte 10
o Springmann Maik-Jens, 2000, Fundort Ostsee - eine maritim-archäologische Zeitreise entlang der deutschen Ostseeküste
o Terberger, Thomas, 2016, Von Größe bis Genetik - Der Mensch am Ende der Eiszeit, AiD Sonderheft 10/2016 (Welt im Wandel): 103-105
o Wenzel, Stefan, 2012, Kern- und Scheibenbeile, in: Steinartefakte vom Altpaläolithikum bis in die Neuzeit: 631-639
o Wikipedia zum Mesolithikum

youtube - Filme zur Arbeit mit Steinwerkzeugen
Marquardt Lund
Harm Paulsen

Text, Fotos und 3D-Modell von Uli Bauer - Juli 2017, aktualisiert Oktober 2021

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