Das Objekt, das wir vor uns haben, erscheint eigentlich nicht wie ein Beil. Wenn wir es einmal in der Waagrechten um die eigene Achse drehen, tauchen zwar eine Schneide und am anderen Ende ein Hohlraum, die Tülle auf, das ganze hat aber mit heutigen Beilen kaum etwas gemeinsam. Das liegt u.a. daran, dass wir heute im Sprachgebrauch nicht mehr zwischen Beilen und Äxten differenzieren, weil es im Grunde keine Beile mehr gibt. Die Archäologie definiert Dinge mit Schneide und einem Schaftloch als Axt; Beile haben kein Schaftloch, nur eine Schneide und müssen komplizierter geschäftet, also mit einem Stiel versehen werden (
Wikipedia zur Schäftung ). Obwohl bereits in der Jungsteinzeit Steinäxte mit schön gebohrten Schaftlöchern hergestellt wurden, wird diese Werkzeugform nur in sehr geringer Stückzahl mit dem neuen Material weitertradiert. Die aus Bronze hergestellten Beile wurden wie Steinbeile geschäftet, anfangs waren sie auch wie diese geformt, dann entstanden Absätze, Randleisten und Randlappen um die Verbindung zum Schaft zu stabilisieren und zuletzt die Tülle, die anfangs der Eisenzeit noch den Sprung zum hochwertigeren Material schafft und dann verschwand. Absatz-, Randleisten-, Lappen- und Tüllenbeile zeigen sehr schön die Evolutionsreihe eines Werkzeugs während 1500 Jahren Bronzezeit.
Die Schäftung eines Tüllenbeils an einem Knickschaft war sicherlich sehr stabil, wenn der Schaft genau eingepasst war, vernünftiger Klebstoff zu Verfügung stand und mittels Öse noch eine zusätzliche stabile Verbindung vorhanden war. Funde von geschäfteten Beilen zeigen, dass die Öse immer zum Schaft zeigt und dort mit einem Band fixiert war. Wenn wir unsere Tülle und speziell den Tüllenmund näher ansehen, fällt natürlich sofort die Beschädigung auf, die vermutlich durch den seitlichen Ausbruch des Schaftes entstand. An einer der beiden Schmalseiten am Tüllenmund sehen wir zwei unregelmäßige Stellen mit hellgrüner Patina, die recht sicher die Reste der abgebrochenen Öse sind. Es könnte gut sein, dass bei einem unglücklichen Hieb, etwa beim Holz schlagen, die Tülle ausbrach und gleichzeitig die Öse abgeschert wurde. Vermutlich fiel das Beil ins Wasser.
Was bei unserem Beil auffällt ist die mit nur 3,6 cm sehr schmale Schneide. Insgesamt ist das Beil 13,2 cm lang und 284,3 g schwer, die Tülle wird durch eine auffällige Randwulst begrenzt, der größte Durchmesser des Tüllenmundes liegt bei 4 cm, die größte Tüllentiefe bei 8 cm. Damit sind die vorderen 5 cm des Beils massiv, die Schneide konnte etliche Male nachgeschärft werden. Der hohle Tüllenteil ist durch Randleisten, die von den Schmalseiten bogenförmig in die Breitseiten ziehen und je eine schwachen Mittelrippe auf den Breitseiten stabilisiert. Diese Rippen sind nicht besonders ausgeprägt und im 3d- Objekt nur schlecht zu sehen. Hin und her drehen hilft ein bisschen, auch die Wegnahme der Textur vom 3-d-Gitter bringt die Oberfläche deutlich klarer zum Vorschein, wie das
Foto zeigt.
Mit seiner charakteristischen langen, schlanken Form gehört unser Beil in die Gruppe der „Lausitzer Tüllenbeile“.
Eine Gruppe recht früher Lausitzer Beile wurden in Polen zum Typ Kowalewko zusammengefasst. Die Mündung ist durch einen Randwulst charakterisiert, die Größe liegt im Bereich um 13cm und der Untertyp B hat, wie unser Beil, Seiten- und Mittelrippe. Aufgrund von Depotfunden werden diese Beile in die 2. Hälfte von Periode IV (etwa 1000-920 v.u.Z) datiert, die Verbreitung reicht von Niederschlesien, Westpommern, dem westl. Großpolen, bis Brandenburg und Böhmen. In Niedersachsen sind Vergleichstypen als Varianten Klein Hesebeck und Wulfen bekannt; das sehr ähnliche Exemplar aus Wulfen ist 11,3cm lang. Die Lausitzer Beile kommen in Niedersachsen weitgestreut in geringer Anzahl vor. Aus Bayern stammt lediglich ein vergleichbares Exemplar. Es wurde im Kreis Kissingen in Unterfranken gefunden, ist 14,2cm lang und 425g schwer, die beiden Randbögen sind vorhanden, die Mittelrippen fehlen.
Unser Exemplar stammt aus der Umgebung von Rhinow im Land Brandenburg. Es wurde 2019 bei den Bodenarbeiten zur Renaturierung des alten Rhinlaufs als Einzelfund geborgen. Bei den Arbeiten wurde zur Schaffung eines neuen Schilfgürtels ca. 30cm des Oberbodens bis zum Torf abgetragen. Auf dem Planum bildeten sich aufgrund des hohen Grundwasserstandes recht schnell erste Pfützen. In einer wurde das Beil gefunden, ohne weitere Gegenstände oder eine erkennbare Grube. Eine Muschel im Inneren der Tülle belegt, dass der Beilschaft nicht abbrach, sondern das Beil tatsächlich durch den Tüllenbruch und den Abriss der Öse verlorenging und zumindest zeitweise im offenen Wasser lag. Vermutlich dürfte das direkt nach dem Verlust gewesen sein, bevor der Fluss oder ein stehendes Gewässer nach und nach verlandete.
Literatur und Quellen
o Wikipedia informiert über die Lausitzer Kultur und das Tüllenbeil.
o Beckert St., 2007, Die Lausitzer Kultur, in Archäologie online
o Kuśnierz J., 1998, Die Beile in Polen III (Tüllenbeile), Prähistorische Bronzefunde 21
o Laux F., 2005, Die äxte und Beile in Niedersachsen II, Prähistorische Bronzefunde 25
o Paszthory K. / Mayer E.F., 1998, Die Äxte und Beile in Bayern, Prähistorische Bronzefunde 20
o Trebsche P., 2002, Ein Tüllenbeil mit Holzschäftung und weitere urnenfelderzeitliche Funde aus Enns,
Mitteilungen des Museumvereines Lauriacum – Enns 40, 5–15
Text, Fotos und 3D-Modell von Uli Bauer - April 2020, aktualisiert November 2021

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